Karoline erleben
Hier berichten Weggefährten, Freunde und Mitstreiter von Schwester Karoline Mayer über Begegnungen und Erlebnisse mit ihr.
* Dorothea Klette: Keine Ausgrenzung und keine Vorurteile
Keine Ausgrenzung und keine Vorurteile
Dorothea Klette über Schwester Karoline
Ich habe Karoline schon 1978 kennen gelernt. Ich begann damals meine Tätigkeit als Lehrerin an der Deutschen Schule in Santiago. Für mich war zunächst ein Problem: Was tue ich, gut bezahlte Lehrerin mit einer großen Wohnung in einem wohlhabenden Viertel von Santiago, in Karolines Armenviertel? Wenn ich mit dem Auto dorthin fuhr, meinte ich, dass ich mich schämen müsste. Damals habe ich von Karoline gelernt, dass die sozialen Unterschiede kein Hindernis für eine gute Begegnung zu sein brauchen.
Als ich 1988 wieder als Lehrerin nach Buenos Aires ging, habe ich gleich in meinem ersten Jahr Karoline besucht. Sie hatte sich damals entschlossen, in einem anderen Teil des Armenviertels zu wohnen und dort noch mal mit ihrer sozialen Arbeit von vorne zu beginnen. Sie zeigte mir das Haus, in dem sie zu wohnen beabsichtigte. Es war alles so schrecklich elend, heruntergekommen und verfallen, dass mir die Tränen kamen. Karoline nahm mich in die Arme und sagte: „Du brauchst nicht zu weinen, du brauchst doch hier nicht zu leben.“ Heute ist dieses Haus bei aller Bescheidenheit ein Ort der Offenheit, der Begegnung, des frohen Zusammenseins, in dem ich meine glücklichsten Stunden in Santiago verbracht habe. Danke, liebe Karoline.
Nach meiner Pensionierung habe ich viele Male in den verschiedenen sozialen Einrichtungen der Fundación Cristo Vive in Santiago / Chile und in Cochabamba / Bolivien gearbeitet. Dabei habe ich als besonders beglückend erlebt, dass es Karolines Wunsch und Ziel ist, alle Menschen zusammen zu führen, egal welcher geographischen oder sozialen Herkunft, welcher Weltanschauung und Religion, welchen Alters, welcher sexuellen Orientierung etc., jeder ist willkommen. Und dass für sie immer der Mensch im Mittelpunkt steht, jeder einzelne. Für sie ist es die Mitarbeit am Reich Gottes. Aber jeder soll für sich entscheiden, wo er die Motivation seines Handelns sieht. Nur eins ist uns allen gemeinsam: Es gibt keine Ausgrenzung und keine Vorurteile.
Dorothea Klette
Die Geschichte des Taxifahrers
Sophie Neumanns Erlebnisse mit Schwester Karoline
Das erste Buch, das Schwester Karoline im Jahr 2010 gemeinsam mit Angela Krumpen veröffentlichte, heißt „Das Geheimnis ist immer die Liebe“. Wer Karoline kennt, der weiß jedoch, dass die Liebe bei ihr eigentlich gar kein Geheimnis ist. Sie trägt sie offen vor ihrem Herzen, sie wirft sie mit beiden Händen um sich und füllt mit ihr jeden Raum aus, den sie betritt. Und sie bezieht jeden in diese Liebe ein, egal welcher Herkunft, welchen Glaubens und/oder welcher Vergangenheit.
Man darf das nicht falsch verstehen, Schwester Karoline kann auch anders. Sie kann sich durchsetzen, sie kann auf den Tisch hauen und sie kann hartnäckig sein. Sonst hätte sie nicht all dies erreicht- sonst wäre die Fundacion Cristo Vive heute nicht die, die sie ist.
Ich selbst stolperte sehr zufällig über die Fundacion, als ich 2009 über die Vermittlungsorganisation weltwärts eine Stelle als Freiwillige in Lateinamerika suchte. Zugegeben hat mich der Name zunächst etwas abgeschreckt, ich komme aus einer nicht-religiösen Familie und hatte während meiner Schulzeit nur sehr wenige Berührungspunkte mit der Kirche und mit dem Glauben. Trotzdem freute ich mich über die Einladung zum Auswahlseminar in Göttingen und wenn ich aus heutiger Sicht sage, dass dieses Wochenende meinen gesamten weiteren Lebensweg beeinflusst hat, dann ist das nicht gelogen. Das Auswahlseminar, die weiteren Vorbereitungsseminare bei der Fundacion Cristo Vive Europa und dann natürlich das Jahr als Freiwillige in Chile haben meine Entwicklung als junge Erwachsene maßgeblich beeinflusst und mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Neben all den unglaublichen Erfahrungen, die solch ein Jahr jedem Freiwilligen schenkt, habe ich vor allem gelernt, was es bedeutet, interkulturell zu leben, was Chancengleichheit verändern kann, und nicht zuletzt habe ich Freundschaften fürs Leben geschlossen.
Seit vielen Jahren entsendet Cristo Vive Europa Freiwillige nach Chile und Bolivien und gibt so jungen (und junggebliebenen) Menschen die Möglichkeit, über den Tellerrand zu schauen und sich sozial zu engagieren. Erst nach einigen Jahren als „Rückkehrerin“ ist mir bewusst geworden, wie viel (großteils ehrenamtliche) Arbeit hinter diesem Arbeitskreis Freiwillige steht und wie unglaublich wichtig dieser Austausch auch für die Fundaciones in Chile und Bolivien ist.
Neben einem Austausch zwischen den Kulturen ist meine Zeit in Chile und die ehrenamtliche Mitarbeit hier in Europa auch ein Austausch unter den Generationen geworden. Was in Südamerika Alltag ist und so einfach erscheint, ist uns hier viel zu stark verloren gegangen: Die Kommunikation untereinander, das Lernen voneinander und der Umgang miteinander- all das habe ich in meiner Zeit mit Schwester Karoline und Cristo Vive erfahren, erleben und erlernen können.
Von tausenden Geschichten, die ich aus Chile erzählen könnte, ist mir diese eine beim Schreiben in den Kopf gekommen: Wir fahren abends aus dem Zentrum Santiagos mit dem Taxi nach Hause in die Poblacion Recoleta. Seit ca. einem Monat sind wir jetzt in Chile, mit dem Spanisch läuft es noch ziemlich holprig. Der Taxifahrer fragt uns, woher wir kommen und was wir in Chile machen; wir antworten, wir kommen aus Deutschland und arbeiten hier als Freiwillige in Recoleta. „Bei Hermana Karolina?“ fragt er. Während der 20minütigen Fahrt erzählt er uns dann seine Geschichte und wie Schwester Karoline ihm und seiner Familie während der Zeit der Diktatur geholfen hat. Leider verstehe ich nur jedes zweite Wort und ärgere mich sehr über mein fehlendes Spanisch. Beim Aussteigen sagt er uns noch: „Liebe Grüße an Schwester Karoline, ich denke jeden Tag an sie!“ Später am Küchentisch fragen wir uns, wie es sein kann, dass wir in einer Stadt mit fast 6 Millionen Einwohnern und gefühlt genauso vielen Taxis genau den Taxifahrer erwischen, der solch eine Geschichte zu erzählen hat. Und wie viele unserer Nachbarn und Arbeitskollegen eine ähnliche Vergangenheit haben.
Ich spreche wohl im Namen vieler Freiwilliger und ehemaliger Freiwilliger, wenn ich mich von Herzen bei Cristo Vive und Karoline bedanke – für ihr unglaubliches Engagement, für ihr Lachen und ihre Liebe und für jede einzelne ihrer Anekdoten!
Sophie Neumann
Katholisch und evangelisch
Helmut Frenz, Pastor i.R., ehemaliger Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile, langjähriger Geschäftsführer von Amnesty International, +2011
Ich kenne Schwester Karolina Meyer seit 1970, als ich als Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile meinen Dienst in Santiago antrat. Damals begann unter der Regierung des sozialistischen Präsidenten Dr.Salvador Allende die hoffnungsvolle Aufbruchsstimmung für die im Elend lebende Bevölkerung Chiles. Zu dieser Zeit hatte Schwester Karoline Meyer bereits ihr erstes christliches Sozialwerk „Missio“ gegründet. Karoline Meyer lebte von Anbeginn an selber inmitten der armen Bevölkerung in einer Armensiedlung am Rande der Millionenmetropole Santiago. In bewundernswerter Weise. Karoline ist nicht nur solidarisch mit den Armen; sie ist und lebt als Arme unter und mit den Armen. Das macht ihre Arbeit so glaubwürdig. Und so zieht sie immer wieder Menschen in ihren Bann, die von ihrem Lebensstil, von ihrem lebendigen Glauben, von ihrer Hingabe an andere überzeugt sind. Karolines Glaube ist ansteckend. Ihr tätiger Glaube wirkt wie Hefe. Sehr schnell bildet sich um sie herum eine Gemeinschaft von Menschen, Frauen und Männern, Jungen und Alten, die ihr Werk bewegen und beflügeln. Ihr Glaube an Christus, den Heiland und Erlöser, ist ganz und gar tätiger Glaube. Karoline Meyer ist katholische Ordensfrau. Doch das merkt man ihr niemals an. Als evangelischer Christ kann ich nicht anders, als Karoline eine „hingebungsvolle Jüngerin Christi“ zu nennen. Wichtig ist ihr nicht eine „konfessionell organisierte Kirche“; was Karoline braucht, ist die Gemeinschaft derer, die in der Nachfolge Christi stehen, so dass Christus lebt.
Hier eine Episode, die ich mit ihr erlebt habe: Im Jahre 1974 – also zur Zeit der schlimmsten Verfolgung in Chile durch die Militärdiktatur Pinochets – rief mich Schwester Karoline an: „Helmut Du musst mir wieder einmal helfen. In meiner Armensiedlung „Angela Davis“ benötige ich unbedingt eine einfache Hütte als Krankenstation zur Behandlung meiner Kranken. In deiner Gemeinde gibt es einen Sägewerkbesitzer. Frag doch einmal, ob er uns nicht eine Fuhre von den Rindenbrettern schenken kann, die für ihn ohnehin nur Abfall sind.“ Für mich war es ein Leichtes, diese „Rindenbretter“ zu beschaffen. Wenige Wochen später – es war in der Adventszeit – ruft Karoline mich erneut an: „Helmut, ich möchte dich bitten, am Heiligen Abend gemeinsam mit dem (katholischen) Bischof Jorge Hurtón unsere neue kleine Kapelle zu weihen. Es soll eine ökumenische Kirche sein.“ Natürlich sagte ich zu. Doch ich konnte es nicht unterlassen, etwas nachzufragen: „Karoline, die Bretter, die ich dir besorgt habe, waren doch für eine Krankenstation bestimmt. Du hast doch nicht etwa jetzt damit eine Kirche gebaut???“
Sie lachte: „Doch, doch! Aber die Kirche kann doch auch als Krankenstation dienen!!!“
So ist Karoline. Am Heiligen Abend war ich dann pünktlich in „Angela Davis“. Wir haben vergeblich auf Don Jorge gewartet. Die Militärs hatten ihn am Kommen gehindert. Was tun? Karoline ganz einfach: „Helmut, dann machst Du das eben alleine! Aber bitte ökumenisch – evangelisch und katholisch!!“ Also weihte ich diese Kapelle „katholisch und evangelisch.“ Bitte fragt mich nicht „Wie?“
In der schlimmen Zeit der politischen Verfolgung durch die Militärs hat Schwester Karoline selbstverständlich ungezählte Menschen in ihren Amensiedlungen versteckt und damit gewiss vor dem Tod oder vor der Folter bewahrt. Sie ist Lebensretterin für sehr viele Menschen geworden. Dass Karoline ein Tatmensch ist und ein außergewöhnliches Organisationstalent, ist inzwischen überall bekannt, bewundert und von Mitarbeitern „gefürchtet“, denn sie verlangt viel. Dass Schwester Karoline aber auch eine warmherzige und verständnisvolle Seelsorgerin ist, wissen eigentlich nur diejenigen, die bei ihr Trost und seelische Zuflucht gesucht und gefunden haben. Ich kenne ein jetzt schon betagtes Ehepaar, das in der Zeit der Verfolgung sich als Liebespaar bei Karoline versteckt hatte. Um sich zu retten, mussten sie sich trennen. Niemand wusste für wie lange Zeit. Sie hätten so gerne geheiratet. Doch sie durften sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Heute sagt dieses Ehepaar voll demütiger Dankbarkeit: „Uns hat Schwester Karoline getraut! Und deshalb hält unsere Ehe auch!“ Ich weiß nicht im Detail, was Karoline damals gemacht hat. Karoline hat einfach und menschlich geholfen, damit Christus lebt.