Sophie Neumanns Erlebnisse mit Schwester Karoline
Das erste Buch, das Schwester Karoline im Jahr 2010 gemeinsam mit Angela Krumpen veröffentlichte, heißt „Das Geheimnis ist immer die Liebe“. Wer Karoline kennt, der weiß jedoch, dass die Liebe bei ihr eigentlich gar kein Geheimnis ist. Sie trägt sie offen vor ihrem Herzen, sie wirft sie mit beiden Händen um sich und füllt mit ihr jeden Raum aus, den sie betritt. Und sie bezieht jeden in diese Liebe ein, egal welcher Herkunft, welchen Glaubens und/oder welcher Vergangenheit.
Man darf das nicht falsch verstehen, Schwester Karoline kann auch anders. Sie kann sich durchsetzen, sie kann auf den Tisch hauen und sie kann hartnäckig sein. Sonst hätte sie nicht all dies erreicht- sonst wäre die Fundacion Cristo Vive heute nicht die, die sie ist.
Ich selbst stolperte sehr zufällig über die Fundacion, als ich 2009 über die Vermittlungsorganisation weltwärts eine Stelle als Freiwillige in Lateinamerika suchte. Zugegeben hat mich der Name zunächst etwas abgeschreckt, ich komme aus einer nicht-religiösen Familie und hatte während meiner Schulzeit nur sehr wenige Berührungspunkte mit der Kirche und mit dem Glauben. Trotzdem freute ich mich über die Einladung zum Auswahlseminar in Göttingen und wenn ich aus heutiger Sicht sage, dass dieses Wochenende meinen gesamten weiteren Lebensweg beeinflusst hat, dann ist das nicht gelogen. Das Auswahlseminar, die weiteren Vorbereitungsseminare bei der Fundacion Cristo Vive Europa und dann natürlich das Jahr als Freiwillige in Chile haben meine Entwicklung als junge Erwachsene maßgeblich beeinflusst und mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Neben all den unglaublichen Erfahrungen, die solch ein Jahr jedem Freiwilligen schenkt, habe ich vor allem gelernt, was es bedeutet, interkulturell zu leben, was Chancengleichheit verändern kann, und nicht zuletzt habe ich Freundschaften fürs Leben geschlossen.
Seit vielen Jahren entsendet Cristo Vive Europa Freiwillige nach Chile und Bolivien und gibt so jungen (und junggebliebenen) Menschen die Möglichkeit, über den Tellerrand zu schauen und sich sozial zu engagieren. Erst nach einigen Jahren als „Rückkehrerin“ ist mir bewusst geworden, wie viel (großteils ehrenamtliche) Arbeit hinter diesem Arbeitskreis Freiwillige steht und wie unglaublich wichtig dieser Austausch auch für die Fundaciones in Chile und Bolivien ist.
Neben einem Austausch zwischen den Kulturen ist meine Zeit in Chile und die ehrenamtliche Mitarbeit hier in Europa auch ein Austausch unter den Generationen geworden. Was in Südamerika Alltag ist und so einfach erscheint, ist uns hier viel zu stark verloren gegangen: Die Kommunikation untereinander, das Lernen voneinander und der Umgang miteinander- all das habe ich in meiner Zeit mit Schwester Karoline und Cristo Vive erfahren, erleben und erlernen können.
Von tausenden Geschichten, die ich aus Chile erzählen könnte, ist mir diese eine beim Schreiben in den Kopf gekommen: Wir fahren abends aus dem Zentrum Santiagos mit dem Taxi nach Hause in die Poblacion Recoleta. Seit ca. einem Monat sind wir jetzt in Chile, mit dem Spanisch läuft es noch ziemlich holprig. Der Taxifahrer fragt uns, woher wir kommen und was wir in Chile machen; wir antworten, wir kommen aus Deutschland und arbeiten hier als Freiwillige in Recoleta. „Bei Hermana Karolina?“ fragt er. Während der 20minütigen Fahrt erzählt er uns dann seine Geschichte und wie Schwester Karoline ihm und seiner Familie während der Zeit der Diktatur geholfen hat. Leider verstehe ich nur jedes zweite Wort und ärgere mich sehr über mein fehlendes Spanisch. Beim Aussteigen sagt er uns noch: „Liebe Grüße an Schwester Karoline, ich denke jeden Tag an sie!“ Später am Küchentisch fragen wir uns, wie es sein kann, dass wir in einer Stadt mit fast 6 Millionen Einwohnern und gefühlt genauso vielen Taxis genau den Taxifahrer erwischen, der solch eine Geschichte zu erzählen hat. Und wie viele unserer Nachbarn und Arbeitskollegen eine ähnliche Vergangenheit haben.
Ich spreche wohl im Namen vieler Freiwilliger und ehemaliger Freiwilliger, wenn ich mich von Herzen bei Cristo Vive und Karoline bedanke – für ihr unglaubliches Engagement, für ihr Lachen und ihre Liebe und für jede einzelne ihrer Anekdoten!
Sophie Neumann
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