Chiara berichtet aus Bolivien
»No puedo tía!« – auf Deutsch: »Ich kann nicht«. Diesen Satz höre ich tagtäglich, mal lauter, mal leiser von meinen Vierjährigen, die gerade schreiben lernen und auf die Schule vorbereitet werden. Bei ihnen stoße ich schnell auf ratlose Gesichter, wenn es darum geht, eine für sie schwierige Aufgabe zu lösen. Sei es das Schreiben eines neuen Buchstabens oder das Malen eines Bildes, bei der die Kreativität gefragt ist.
Trotz allem bin ich überzeugt, dass in vielen Kindern mehr steckt, als sie selbst vermuten würden, und dass mit etwas Geduld und viel Zuspruch einiges aus ihnen herausgeholt werden kann. Tage danach werde ich gefragt, ob ich mich erinnere, wie toll sie die Aufgabe gemeistert haben. Und genau in diesen Momenten weiß ich, warum ich für ein Jahr mein Leben in Deutschland zurückgelassen habe und als Freiwillige der »Fundación Cristo Vive« hier in Cochabamba/Bolivien lebe und arbeite.
Vormittags arbeite ich mit Vierjährigen in einem Kindergarten und nachmittags unterstütze ich Dritt- und Viertklässler bei ihren Hausaufgaben. Ich liebe meine Arbeit sehr, da mir die Kinder schon jetzt sehr ans Herz gewachsen sind und ich das Gefühl habe, wirklich gebraucht zu werden. Umso rührender ist es für mich, wennn ich mitbekomme, aus welchen Verhältnissen die Kinder kommen – oft fehlt es an den grundlegendsten Dingen wie saubere Kleidung oder die tägliche Hygiene.
Vor allem beim Mittagessen sind die Kinder sehr gesprächig und ich habe den Eindruck, dass sie diese ruhigen Momente nutzen, um sich jemanden mitzuteilen. Ungefragt fangen sie dabei an, zu erzählen, was sich zu Hause abspielt und dabei kann einem schon mal das Essen im Hals stecken bleiben. Es ist traurig für mich zu sehen, wie selbstverständlich die Kinder hier über Gewalt und Alkohol sprechen und schon in so jungen Jahren damit konfrontiert werden.
Umso wichtiger finde ich es, ihnen durch solche Projekte die Aufmerksamkeit und Liebe zu schenken, die sie brauchen, um zu starken Persönlichkeiten heranzuwachsen. Erst hier in Bolivien wurde mir bewusst, wie wichtig Bildung und Erziehungshilfe sind, und wie stolz es die Kinder macht, etwas zu wissen
Erst hier in Bolivien wurde mir bewusst, wie wichtig Bildung und Erziehungshilfe sind, und wie stolz es die Kinder macht, etwas zu wissen. Mir ist klar, dass ich mit meiner Arbeit nicht die Welt verändern kann, und dass es viel Zeit braucht, um eine Veränderung zu sehen, trotzdem versuche ich mein Bestes. Was ich sehr bewundere, ist, dass die Kinder trotz der schwierigen Lebensumständen ihre Fröhlichkeit und Neugierde nicht verloren haben.
Ich erinnere mich noch genau an den ersten Tag im Kindergarten, wie rund 20 Kinder auf mich zurannten, um mich zu umarmen und der neuen »Tía« oder Hallo zu sagen. Voller Vertrauen und Herzlichkeit wurde ich vor vier Monaten empfangen. Der Zusammenhalt zwischen den Menschen gefällt mir hier sehr, da ich das Gefühl habe, dass jeder viel mehr auf seine Mitmenschen achtet und nicht nur seinen Weg alleine geht, ohne einmal nach links oder rechts zu schauen.
Ich bin glücklich, all das miterleben zu dürfen und Teil dieses Projektes zu sein, welches hoffentlich noch weiter wächst. Alle Freiwilligen machen deshalb ein oder mehrere Projekte in den Einrichtungen, in denen sie arbeiten. Durch gesammelte Spenden werden Spielplätze oder Sandkästen gebaut, Lernmaterial gekauft, aber auch auf individuelle Nöte eingegangen, wie beispielsweise eine lebensnotwendige Augenoperation eines Kindes.
Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick in mein Leben und Arbeiten in Bolivien geben und dass sich einige Menschen finden, die ihren Teil dazu beitragen wollen, dass dieses Projekt noch weiter wachsen kann.
Liebe Grüße aus dem Herzen Südamerikas an meine Heimat.