Erster Bericht aus der Residencia von Sarina
“Gefaellt es dir hier in der Residencia? “ - “Ja, das ist fuer mich wie ein Paradies!”
Ich bin noch keine 12 Stunden in Santiago, da stehe ich schon in der Residencia, meiner Arbeitsstelle fuer das naechste Jahr. Mich ueberfluten die Eindruecke: Ein Hund, viele schnell und undeutlich sprechende Menschen, die mir Fragen stellen und mich auf die Wange kuessen, ein Strudel von Eindruecken verwirbelt mir jeden klaren Gedanken. Das ganze Haus kommt mir vor wie eine grosse Schatzkammer, die ich noch nicht zu oeffnen weiss. Nach ca. 20 min. gehe ich schon wieder, denn ich bin jetzt schon von meinen Eindruecken ueberfordert, freue mich aber schon sehr darauf wirklich mit der Arbeit anzufangen. Das erste was mir auffaellt, als ich den Flughafen von Santiago verlasse, ist der Geruch. Es riecht ganz anders als alle Staedte die ich bis jetzt besucht habe. Bei der Fahrt zur Fundacion, sieht Santiago fuer mich wie eine Mischung aus Europa und Indien aus, man erklaert die unbekannten Dinge eben erst einmal mit dem Bekannten.
Auch wenn ich am Anfang das typische, und fuer mich nicht angenehme, Gefuehl habe neu zu sein, bin ich von Anfang an froh hier zu sein. Wir wurden so herzlich in Chile empfangen, aus der Luft mit einem Andenpanorama, in der Fundacion mit Keksen,Tee und einer Umarmung. Das Einleben in diese neue Welt ist mir nicht schwer gefallen und ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich meine Arbeit liebe und mich jeden Morgen darauf freue. Waehrend der ersten zwei Wochen lerne ich in einer Sprachschule Spanisch und nach dem Unterricht Santiago kennen.
Sehr schnell stelle ich fest, dass das was am Anfang auf mich wie ein grosses Misterium wirkt, vertraut und Routine wird. Ich verstehe bei so manchem aus der Residencia am Anfang nur ein Wort aus drei Saetzen, kenne aber nach zwei Tagen trotzdem schon von dem ein oder anderen die halbe Lebensgeschichte.
Mit der Routine kommt ein Sicherheitsgefuehl, ich weiss wie der Tagesablauf aussieht, wer wann warum vielleicht nicht so gute Laune hat, wie man auf die einzelnen Menschen unterschiedlich zugehen kann.
Ich arbeite an zwei Tagen die Woche erst ab 13:00 Uhr aber dafuer bis um 21:00 Uhr. Die anderen Tage fange ich frueher an . Oft bin ich am Vormittag unterwegs, entweder es muss etwas zum Notar, Ministerium, in die Verwaltung der Fundacion gebracht werden oder ich begleite Schwester Teresa zum Einkaufen fuer die Residencia und die Herberge. In der Residencia spiele oder unterhalte ich mich mit den Bewohnern. Des oefteren gibt es aber auch praktische Aufgtaben, so habe ich mit Andres, einem Bewohner der Residencia, Farbe von der Decke in einem Bad abgespachtelt, um sie neu zu streichen. Im Moment bekommt ein neuer Aufenthalsraum einen neuen Anstrich. Im September hatte die Residencia Jubilaeum und es gab ein grosses Abendessen, die Band eines Praktikanten, der einmal die Woche in der Residencia arbeitet, spielte, fast alle tanzten. Von der Froehlichkeit, der Lebensfreude der Bewohner der Residencia bin ich tief beeindruckt.
Die Geschichten der Bewohner beschaeftigen mich aber natuerlich auch noch nach der Arbeit. Da gibt es die schoenen Momente, wie das Zitat am Anfang, an die ich mit einen Laecheln denke, aber es kommen bei mir auch Fragen auf, die mich nicht mehr loslassen. Wie kann es sein, das ein gebildeter Physik-Proffesor ein so starkes Alkoholproblem bekommt, dass er auf der Strasse landet?
Viele der Bewohner wollen ihr Leben fuer andere Menschen, z.B. ihre Familie aendern, wenn dann aber die Familie in Schwierigkeiten ist, ist der Rueckfall selbst nicht mehr weit. Es braucht einen anderen Antrieb, sein Leben zu nutzen, man muss den Sinn des eigenen Lebens entdecken. Das dies kein leichtes Projekt ist sehr klar, denn ich wuesste selbst nicht so genau, was ich als Sinn meines Lebens bezeichnen sollte. Wenn ich mich frage was ich neben Spanisch in den letzten drei Monate gelernt habe, dann ist es einerseits die Erkenntnis das hier in Chile oft nichts so laeuft wie man es geplant oder sich vorgestaellt hat, es aber trotzdem immer schoen ist, man sich also manchmal einfach auf eine Situation, eine neue Erfahrung einlassen muss. So habe ich mit einigen Bewohnern angefangen ein bisschen Klavier zu “spielen”, die Begeisterung mit der sie auf dem kleinen Keyboard herumklimperten moechte ich auch gerne haben!
Andererseits ist es die Erfahrung, dass die Dinge hier oft anders sind als man denkt, hinter einem gepflegten Gehsteig verstekt sich so manchesmal grosse Armut, hinter einem Laechen ein fast unbegreiflich schweres Schicksal.
Fuer alle Erfahrungen die ich bisher machen durfte, allen Menschen die mir hier begegnet sind bin ich sehr dankbar und ich freue mich auf weitere neun Monate, voller neuer Erfahrungen und Gedanken.