Ein Bericht von Eva, Freiwilliger in Chile 2013/14:

Seit etwas mehr als eine Woche bin ich wieder zurück in Deutschland. Mein Jahr Chile ist vorbei und dementsprechend ist das hier auch der letzte Rundbrief, den ihr von mir zu lesen bekommt.

Der letzte Monat war noch einmal ziemlich ereignisreich und emotional, durch die vielen Abschiede. Am Ende merkt man dann doch nochmal mehr, wie sehr man an allem hängt und wie sehr man sich an die Umgebung, die Menschen und das Leben gewöhnt hat. Gerade, wenn ich jetzt wieder in meinem Zimmer in Uelzen sitze, kommt mir noch alles wie ein Traum vor. Letztendlich ist die Zeit doch sehr schnell vergangen und in deutschen Alltag kommt es mit teilweise so vor, als sei ich gar nicht weg gewesen…

Den ganzen Juli über hatte ich, glaube ich, keinen ruhigen Tag. Immer gab es was zu besorgen, vorzubereiten oder ich wurde eingeladen bzw. habe eingeladen. Jeder Moment sollte genutzt werden, denn allen war ja bewusst: So viel Zeit bleibt nicht mehr. Es ging sogar so weit, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, wenn mal nix los war – und das ist eigentlich gar nicht meine Art, da ich sonst immer sehr auf meine Ruhe bestehe…

Hinzu kam, dass die Tias jeweils eine Woche Urlaub hatten und das Team nur Halbbesetzt war, was die Arbeit nicht weniger anstrengend machte – aber auch nochmal intensiver, was auch schön war.

Generell hatte ich in den letzten Wochen immer ein starkes Bedürfnis, jeden Moment in der Sala mit den Kindern ausnutzen zu wollen. Diese Frechdachse sind aber auch einfach zu süß!

Mitte Juli hatten wir dann schon unser Abschlussseminar in Punta de Tralca – am Meer. Auch dort stellten wir alle nochmal fest, wie sehr wir auch unter den Freiwilligen zusammengewachsen sind. Natürlich versteht man sich mit den einen besser, als mit den anderen. Insgesamt sind wir aber schon zu einer großen (Ersatz-)Familie zusammengewachsen und kennen uns gegenseitig mit allen unseren Ecken und Kanten. In der WG ist dies natürlich nochmal extremer. Wir haben fast 365 Tage zusammen gelebt, haben uns gestritten, uns übereinander aufgeregt aber auch viele schöne Momente gemeinsam erlebt. Auch wenn ich diese Menschen eigentlich erst seit einem Jahr kenne, habe ich das Gefühl, sie besser zu kennen, als so manche Freunde, die man schon seit so vielen Jahren hat.

Als ich von dem Seminar wiederkam, bekam ich eine Nachricht, dass ich am nächsten Morgen ans Meer fahren würde. Meine „Lieblingstias“ hatten alles in Bewegung gesetzt um mir einen schönen „Abschiedstag“ zu ermöglichen. So fuhren wir nach Valparaiso (wie schon so oft gesagt: schönste Stadt Chiles!) und verbrachten später den Nachmittag am Meer. Ich war total gerührt davon und wir hatten wirklich eine schöne Zeit. So habe ich auch nochmal realisiert, wie sehr nicht nur die Tias mir ans Herz gewachsen sind, sondern auch ich den Tias… Grade in den letzten Wochen ist mir nochmal aufgefallen, dass sowas überhaupt nicht bedacht wird. Immer heißt es, dass der Abschied schwer ist, für die die weggehen, da die alles vermissen, aber nie wird darüber nachgedacht, dass die Dagebliebenen auch den Weggegangenen vermissen. Ich glaube, das habe ich mir vorher nie wirklich so klar gemacht…

In den folgenden Wochen reihte sich Verabschiedung an Abschiedsfeier und vor Allem in der letzten Woche kam man aus dem Traurig sein gar nicht mehr raus.

Die Hälfte der Freiwilligen fuhr schon 10 Tag vor uns, womit das endgültige Verabschieden begann. Im Grunde war diese Zeit, eine sehr komische. Ich hatte das Gefühl, mich die ganze Zeit zu verabschieden und nicht gehen zu wollen. Aber andererseits trennten uns noch einige Tage bis zu unserem Abflug. Vor Allem bei der Arbeit ging der routinierte Alltag bis fast zum Schluss weiter oder wurde nur gestört dadurch, dass wir Freiwillige noch was organisieren mussten, was dann ja auch wieder mit dem Abschied zu tun hatte…

Zum Beispiel habe ich mehrere Vormittage bei der Estacion Central verbracht (ein riesiges Einkaufsviertel, in dem es alles in Massen und in extrem billig gibt). Im Juni haben meine Mitfreiwillige, Isabel und Sophia, und ich nämlich gemeinsam mit unseren Educadoras überlegt, womit wir die Sala Cuna noch unterstützen könnten. Ich hatte bis zu dem Punkt nämlich noch nicht viel von den Spendengeldern aufgebraucht und fand, dass die Educadoras am besten wissen, was die Sala Cuna für die Kinder braucht und wir finanzieren könnten. Letztendlich haben wir, durch eure Spenden, einen Beamer (der Staat schreibt vor, die Kinder abwechslungsreich visuel zu bilden, ihnen also, neben Bilderbüchern zeigen und was vorzuspielen auch Kurzfilme zu zeigen. Leider finanziert er aber keine Beamer um solche Aktivitäten durchzuführen…), Puppenwagen (die Kinder haben ein neues Lieblingsspielzeug…), große Bälle, Bilderbücher, eine Seifenblasenmaschine und Kleidung für die bedürftigsten Kinder kaufen können. Außerdem haben wir die Medizin-/Erste-Hilfe-Schränke auffrischen können, die komplett leer waren bei unserer Ankunft. Vielen Dank, dass wir dies durch euch möglich machen konnten!

Sicher sind dort nun teilweise Dinge dabei, wo man denkt, dass sie nicht unbedingt lebensnotwendig sind, aber ich bin mir sicher, dass sie die Arbeit in der Sala Cuna versüßen – wenn nicht sogar verbessern werden und den Kindern auf jeden Fall viel Freude bringen wird. Und das ist es ja wobei es mir letztendlich ging: Das Leben der Kinder zu verschönern und ihnen Freude zu bringen.

Das übriggebliebene Spendengeld wird nun auf die Sala Cuna, den Kindergarten und die Behinderteneinrichtung (also den Einrichtungen „Naciente“, die zusammengehörten) verteilt und sicherlich auch gut genutzt. Irgendwas wird immer benötigt oder geht kaputt und muss ersetzt werden…

Am vorletzen Freitag kam nachmittags eine ganz komische Stimmung auf. Wir Freiwilligen wurden in die hinterste Ecke geschickt und wurden beauftragt eine Evaluation der Sala Cuna zu schreiben. Wir gingen fleißig unserer Arbeit nach und wunderten uns immer wieder, wo denn die ganzen Tias hin sind. Plötzlich wurden wir zu einer Besprechung gerufen. Etwas genervt machten wir uns auf den Weg. Als wir ankamen, war der ganze Raum chilenisch dekoriert und sie hatten uns eine ÜBERRASCHUNGSFEIER organisiert. Da waren also alle Tias, über die wir uns zuvor noch geärgert haben, dass die uns einfach so alleine lassen!!! Alles war total süß vorbereitet. Es gab typisch chilenisches Essen (Empanadas!!! – das sind superduperleckere gefüllte Teigtaschen), es wurde vorgetanzt und Reden geschwungen. Sie haben sich extrem viel Mühe gegeben und wir waren total sprachlos! Ich glaube, dass war das erste Mal, dass ich von einer Überraschung wirklich nichts geahnt habe. Das ganze Team hat uns von Anfang an so herzlich aufgenommen, dass dies der krönende Abschluss war! Ohne das Team der Sala Cuna, wäre das Jahr sicher nicht so schön, liebevoll und voller Erfahrungen gewesen, wie es letztendlich war. Jeder von ihnen hat ihre eigene, nicht einfache Geschichte und Leben, aber trotzdem begehen sie ihre Arbeit so liebevoll und haben immer was Aufmunterndes zu sagen. Wie schon so oft gesagt: Jede Tia verdient meinen aufrichtigsten Respekt, dass sie ihre Arbeit so ableisten, wie sie es tun, dann nach Hause kommen und dort noch ein Berg von Arbeit und Sorgen auf sie wartet und dabei so gut wie gar nicht rumjammern und ihren Humor eigentlich nie verlieren – wie es ja unter uns Deutschen sehr beliebt ist.

Die letzte Woche war dann der Höhepunkt des Abschiedes: Abschiedsessen von meinen „Lieblingstias“, Abschiedsfeiern mit den Freiwilligen – das letzte Mal in Santiago, Abschiedsfeier für die Tias (diesmal von uns aus geplant) und Abschiedsfeier in meiner Sala – also Abschied nehmen von meinen Babies… Die ganze Woche kam mir alles so unrealistisch vor und ich habe noch bis zum Abflug nicht realisieren können, dass ich jetzt wirklich gehe und die Kinder und Tias nicht am nächsten Tag sehen werde… So ganz habe ich bis jetzt noch nicht realisiert, dass jetzt erst mal eine

lange Zeit vergehen wird, bis ich wieder nach Chile komme und dass auch dann es nicht mehr so sein wird, wie es war…

Am Sonntag wurden wir sogar nochmal von ziemlich vielen Tias, die sich organisiert hatten, am Flughafen verabschiedet – was das Fliegen nicht leichter gemacht hat…

Bevor wir aber zum Flughafen aufbrechen konnten, sollte sich unser Viertel nochmal von seiner schönsten Seite zeigen: Einer Mitfreiwilligen wurde beim einsteigen ins Auto ihre Tasche mit Laptop, Kamera, Geld, Kreditkarte und Reisepass geklaut. Da es in unserem Viertel passiert ist, relativ viele Chilenen und vorallem die einflussreiche Cristo-Vive-Gründerin Karoline in der Nähe war, konnte die Tasche samt Kreditkarte und Reisepass zurück erkämpft werden. Die Kamera und der Laptop mit all den Bildern des Jahres, sollen inzwischen aber auf dem Weg nach Peru sein…

Das hat uns alle ziemlich erschrocken, da das ganze Jahr so gut wie nichts passiert ist und wir uns wirklich sehr sicher gefühlt haben. In der letzten Woche aber, wollte Recoleta uns nochmal zeigen, dass man doch aufpassen muss. Uns wurden nämlich auch unsere, frisch geschenkten, Fahrräder aus dem Vordergarten geklaut, was unsere ganze Nachbarschaft wohl erschrocken hat, da bei uns noch nie eingebrochen wurde. Aaaber, man darf nicht vergessen: All diese Dinge hätten auch in Deutschland passieren können. Schade finde ich es nur für die neuen Freiwilligen, dass die in ihrer ersten Woche gleich so ein Unsicherheitsgefühl bekommen müssen.

Da die eine Hälfte ja schon 10 Tage vor uns geflogen ist bekamen wir auch gleich die Neuen für dieses Jahr. So durften wir uns zu fünft ein Haus teilen, in dem es schon zu viert eher eng ist. Aber auch das haben wir überstanden. Es war aber sehr komisch die Neuankömmlinge, jetzt in „seinem“ Haus leben zu sehen und zu wissen, dass die noch alles vor sich haben und noch so viel Erfahrungen sammeln werden, die man schon alle gesammelt hat. Ich fand es auch sehr interessant zu sehen, was für Probleme, Fragen und Vorsätze sie hatten und sich daran zurückzuerinnern, dass es einem am Anfang nicht anders ging.

Nach all dieser Aufregung hieß es aber dann wirklich Abschied nehmen und ab nach Deutschland. Meine Stimmung konnte sich, wie schon in den Wochen davor, nicht zwischen Vorfreude und großer Traurigkeit entscheiden, aber die Zeit war abgelaufen…

Die ersten Tage in Deutschland waren so komisch: Alles war so vertraut, aber doch musste ich mich wieder dran gewöhnen: An das Deutschsprechen, die großen Häuser und Räume, die Ruhe, das Toilettenpapier-nicht-in-den-Mülleimer-werfen, der harsche und direkte deutsche Ton und auch das wieder-in-einer-Familie-leben-und-Mama-da-haben (ich wollte Wäsche waschen und da war sie schon gewaschen…). Aber inzwischen habe ich mich schon wieder ziemlich eingewohnt – obwohl immer wieder Momente kommen, wo ich kurz überlegen muss, wie man das jetzt nochmal macht oder nicht macht. Sicher gibt es noch Länder, die sich noch viel extremer von Europa unterscheiden als Chile, aber trotzdem merke ich, dass es mir sehr schwer fällt mich wieder an alles zu gewöhnen.